Das Bessere bleibt der Feind des Guten
Das durch die Corona-Pandemie deutlich gestiegene Online-Geschäft mit Möbeln verführt zu der Annahme, dass das Ende des stationären Möbelhandels nah sei. Doch schon vorher hatten die Entwicklungen beim Absatz von Büchern oder Elektroartikeln verschiedene „Propheten“ dazu verleitet, dass dies auch sehr bald die Möbelbranche betrifft. Diese Annahme ist genauso falsch wie das Gegenteil, dass nämlich Möbel gar nicht für das Online-Geschäft geeignet seien!
Die Wahrheit ist eben nicht schwarz-weiß, sondern vielfarbig. Zudem müssen sich für einen grundlegenden Wandel der Vertriebs- bzw. Absatzkanäle die technischen (und gesellschaftlichen) Voraussetzungen hierfür erst einmal bilden. So gibt es – unabhängig von Aspekten wie Kauferlebnis, Customer Journey und Ropo-Effekt (research online, purchase offline bzw. online informieren und offline kaufen) – auch eine datentechnische Sicht auf diesen scheinbaren Wechsel der Vertriebswege bei Möbeln.
Die digitalen Abwicklungsprozesse beim Handel mit Möbeln sind ebenso divergent wie deren Vertriebswege. Zum Beispiel Pure Player mit und ohne Marktplatz vs. stationäre Händler mit und ohne Online-Auftritt. Oder: Direktvertrieb von Kommissions- oder Lagerware vs. maßkonfektionierte Möbel. Und nicht zuletzt: Filialisten vs. Einzelkämpfer – jeweils mit oder ohne Verbandszugehörigkeit.
Bei all‘ diesen Unterschieden, bei aller Vielfalt sollen Produktdaten der Hersteller zudem stets automatisiert in den Verkaufsprozess einfließen. Hier sind die vermeintlich „rückschrittlichen“ stationären Händler oftmals weiter als der „innovative“ Online-Handel. Bei den Prozessen Konfiguration, Bestellung, Bezahlung oder auch Lieferverfolgung haben auch die Onliner sicher vieles optimiert – aber reicht das aus?
Die meisten Möbel sind keine ‚flachen‘ Artikel, sondern können zumindest variiert werden. Küchen- und Polstermöbel sind darüber hinaus Kommissionsware, die individuell konfiguriert bzw. geplant werden müssen. Die meisten Pure Player nutzen hier nicht alle Möglichkeiten und insbesondere nicht die zur Verfügung stehenden Standards für die Produktdaten. Jede Plattform, jeder Marktplatz beharrt auf seine eigenen Formate. Die Kommunikation mit den jeweiligen proprietären Formaten wäre für die Hersteller sogar begrenzt leistbar, wenn diese nur das Produktportfolio optimal abbilden könnten. Dies ist aber meist nicht der Fall.
Zudem können über proprietäre Formate nur die größten Onliner bedient werden. Man vergisst aber durch die mediale Präsenz besonders auffälliger oder potenter Player schnell, dass Dutzende Webshops Möbel und Inneneinrichtungen anbieten. Soll eine Abhängigkeit von den drei, vier Größten im Markt – jetzt nun im Online-Segment – vermieden bzw. auf ein gesundes Maß gebracht werden, müssen die vielen mittleren und kleinen Web-Shops bedient und erhalten werden. Beim stationären Handel wird dies seit Jahrzehnten, wenn auch inzwischen mit gewissen Einschränkungen, bekanntlich erfolgreich umgesetzt.
So nutzt – direkt oder indirekt – der stationäre Handel die von der Branche entwickelten Standards, allem voran das Integrierte Datenmodell (IDM). Keine Einbauküche kann heute ohne IDM-Daten in Europa verkauft werden – handwerklich hergestellte bzw. zerlegte Ware ausgenommen. Auch Polster- und Wohnmöbelkataloge werden im IDM-Format angelegt und in den verschiedenen, am Markt verfügbaren Konfiguratoren hinterlegt. Mitunter wissen die Händler nicht einmal, dass hinter den von ihnen genutzten Systemen IDM-Kataloge stehen.
Nicht selten verwechselt der Möbelhandel jedoch System und Format. Letztendlich ist es dem Branchenformat „egal“, von welchem System es umgesetzt wird. Entscheidend ist die syntaktisch und semantisch korrekte Interpretation. Einige Systeme müssen noch optimiert werden, andere – häufig aus der reinen Online-Welt – können die allgemeinverbindlichen Formatstrukturen überhaupt nicht umsetzen.
Denn wenn die Strukturen unterschiedlich komplex sind, sind Daten nicht ohne Probleme zu konvertieren oder einfacher gesagt: zu lesen. Ein variantenreiches Produkt kann zwar „plattgeklopft“ in eine flache Artikelhierarchie überführt werden. Hierbei gehen jedoch viele nützliche Informationen „verloren“ bzw. bleiben unberücksichtigt. Flache Artikel hingegen können nicht automatisiert zu einem variablen Produkt zusammengefasst werden. Dies sind auch die Gründe, warum viele variantenreiche Artikel in Online-Shops als eine Vielzahl von Einzelprodukten angeboten werden.
Kein Kunde wird dies auf Dauer akzeptieren. Wie auch ein stationärer Händler, der zusätzlich online verkauft, nicht dieses für ihn bestens gewohnte, hohe datentechnische Niveau verlassen wird. Mittelfristig könnten so die Besten der „Stationären“ online mehr Erfolg haben als die Pure Player, die Chancen stehen gut. Es bleibt daher spannend – und es ist noch lange nicht ausgemacht, ob Multichannel tatsächlich zunimmt oder ob die reinen Onliner nicht doch vorhandene Standards und das IDM-Format nutzen. Eines ist jedoch gewiss: Das Bessere ist des Guten Feind!
Autor Dr. Olaf Plümer
Geschäftsführer
Daten Competence Center (DCC e. V.)
Erschienen in: INSIDE Wohnen Verlags GmbH ; 02/2021