„Furniture‑X“ unterstützt die Einführung des Digitalen Produktpasses in der Möbelbranche
Die Herausforderungen, die die europäische Ökodesignverordnung auch für die Digitalisierung mit sich bringt, sind nur in der gesamten Wertschöpfungskette zu lösen. Daher fand am 29. Februar 2024 in der Möbelfachschule in Köln die konstituierende Sitzung von Furniture‑X statt. So nennt sich das neue Konsortium, welches sich für eine praxisgerechte und flächendeckende Einführung des Digitalen Produktpasses in der Möbel- und Einrichtungsbranche starkmacht.
Eines der größten Vorhaben der aktuellen EU-Kommission ist der „Green Deal“. Die angestrebten CO2-Einsparungen kommen hierbei aus verschiedenen Bereichen – einer bildet die Kreislaufwirtschaft. Neben der Langlebigkeit von Erzeugnissen ist der zweite Kerngedanke, dass Produkte oder zumindest Materialen wiederverwendet werden sollen. Bezogen auf unsere Branche stellt dies eine große Herausforderung nicht nur für die Konstruktion, sondern auch für die Fertigung von Möbel dar.
Das entsprechende Gesetz ist die Europäische Ökodesignverordnung ESPR (Ecodesign for Sustainable Products Regulation), welche mit letztem Entwurf am 9.1.2024 veröffentlicht wurde und nun zur Abstimmung im Europäischen Parlament ansteht. Das Inkrafttreten wird für April erwartet. In der ESPR ist explizit erwähnt, dass für den ersten umzusetzenden Arbeitsplan die EU-Kommission u.a. Möbel und Matratzen als vorrangig einstufen sollte.
Die notwendigen Informationen für die Wieder- bzw. Weiterverwendung, die Demontage oder auch stoffliche Verwertung ist nur realisierbar, indem jedem Möbel ein Digitaler Produktpass (DPP) beigefügt wird. Die bereitgestellte Vielzahl an unterschiedlichen Informationen sind ausschließlich so zu verarbeiten. Dabei erhöht die Komplexität entlang der Wertschöpfungskette ‚Möbel‘ den zeitlichen Druck auf die Umsetzung dieser Thematik, da die Produkte in unserer Branche äußerst variantenreich sind.
Die wichtigsten Branchenorganisationen im Bereich des Datenmanagements wirken vom Start weg bei Furniture‑X mit: der Verband der Deutschen Möbelindustrie (VDM), das Daten Competence Center (DCC) als Standardisierungsorganisation für Formate und Prozesse beim Datenaustausch, der Handelsverband Möbel und Küchen (BVDM), der Mittelstandsverbund (ZGV), Morphe als treibende Kraft für die Etablierung der ECLASS-Normen in der Einrichtungsbranche sowie Integrated Worlds als Betreiber der zentralen Datenaustauschplattform IWOfurn.
Was uns sehr freut: Entlang der gesamten Wertschöpfungskette – von der Vorstufe der Zulieferindustrie bis zum Handelsunternehmen – haben bereits zahlreiche Unternehmen ihre Mitwirkung an Furniture‑X bekundet. Die Zusammenarbeit mit dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie sowie dem Forschungsinstitut für Rationalisierung (fir) der RWTH Aachen stellt sicher, dass branchenübergreifende Initiativen berücksichtigt und mögliche Synergien gehoben werden können.
Wie bereits erwähnt, sind bei der Umsetzung des DPP die Möbelhersteller auf die Mithilfe ihrer vorgelagerten Zulieferindustrie angewiesen. Denn bereits von dieser müssen für jedes Zukaufteil und für alle Fertigungsmaterialien entsprechende Pässe erstellt und bereitgestellt werden. Hieraus wird kaskadenartig der DPP für das fertige Möbel erzeugt. Derzeit sprechen meine Kollegin Anika Degenhard und ich als Vertreter des DCC mit allen relevanten Lieferantengruppen.
Das Thema ist äußerst komplex, denn es werden Datenökosysteme bzw. Datencontainer benötigt. Der offizielle Fachbegriff ist Verwaltungsschale (Asset Administration Shell / AAS). Wir kennen bereits vielfältige Konzepte für Verwaltungsschalen und Digitale Produktpässe, die genauen Ausführungsbestimmungen der EU lassen aber noch auf sich warten. Daher ist es derzeit nicht sinnvoll, „irgendeinen“ Pass zu kreieren und seinen Produkten mitzugeben. Verständlicherweise herrscht bei den Entwicklern solcher Pässe derzeit Goldgräberstimmung.
Ein Paradigma bei vielen Gesetzesvorhaben der EU ist der Verbraucherschutz, was ich auch persönlich grundsätzlich begrüße. Für den DPP gilt daher, dass er vor jeder Kaufentscheidung zur Verfügung stehen muss. Bei Lagerware ist dies unkritisch – bei einem variantenreichen, kommissionsgefertigten Produkt wie Möbel ist es ebenso eine Herausforderung wie die zwingend vorgeschriebene eindeutige Identifizierung. Die Designer von Planungsprogrammen und Konfiguratoren des Handels haben hier noch eine gewaltige Aufgabe vor sich – und wir in unseren DCC-Gremien ebenfalls.
Gänzlich neu aufgenommen in den letzten Entwurf der ESPR ist ein Webportal für die Vergleichbarkeit von Produkten. Glücklicherweise liegt dies nicht auch in der Verantwortung der Produzenten.
Zum zeitlichen Ablauf gibt es derzeit große Unsicherheiten. Fest steht, dass spätestens neun Monate nach dem Inkrafttreten der ESPR die Veröffentlichung des Delegierten Rechtsakts (Delegated Act) eintreten muss, also bis Ende diesen Jahres. Dann folgen dessen Inkrafttreten und Gültigkeit, die wir auf Ende 2027 schätzen. Und spätestens bis dahin müssen sich alle Möbelhersteller in der Lage sehen, ihren Produkten einen Digitalen Produktpass beizufügen.
Wie geht es jetzt weiter? Meine Kollegen Jan Kurth und Heiner Strack vom Verband der Deutschen Möbelindustrie vertreten die Interessen aller Verbandsmitglieder beim Thema Circular Economy auch auf europäischer Ebene und bringen sich u. a. in den Gremien der EFIC (European Furniture Industries Confederation) ein. Der Digitale Produktpass wird zudem im europäischen Normungsgremium CEN/CENELEC behandelt. Im deutschen Spiegelausschuss von DIN/DKE vertrete ich den VDM bzw. das DCC.
Um die gesamte Lieferkette sowie weitere Akteure einzubinden, haben wir das bereits eingangs erwähnte Konsortium Furniture‑X gegründet. Dieses soll Vorarbeit leisten, um für die Möbelbranche die Rahmenbedingungen festzulegen. Gleichzeitig soll es die Gesetzesentwürfe, Ausführungsbestimmungen, Normen und Konzepte sichten.
Wer sich über den Arbeitsstand des Konsortiums informieren will und ein Bild von den gesetzlichen Vorgaben machen möchte, findet die laufend aktualisierte Berichterstattung über Furniture‑X auf der Wissensplattform www.moebeldigital.de. Darüber hinaus informieren wir unsere Mitglieder über unsere Gremien in den verschiedenen Verbänden der Möbelindustrie (VDM/VHK).
Autor:
Dr. Olaf Plümer
Geschäftsführung
Daten Competence Center e.V.
pluemer@vhk-herford.de
Quelle und Medienpartner
Veröffentlicht in: INSIDE Sonderausgabe „Neue Ideen“ 2024