Die nächste große Herausforderung für die Möbelindustrie:
Der digitale Produktpass kommt.
Eines der größten Vorhaben der aktuellen EU-Kommission ist der so genannte Green Deal. Die angestrebten CO2-Einsparungen liegen hierbei auf verschiedenen Ebenen – eine bildet die Kreislaufwirtschaft. Kerngedanke ist, dass Produkte oder zumindest Materialen wiederverwendet werden sollten. Bezogen auf unsere Branche ist dieses eine Herausforderung für die Konstruktion, aber auch für die Fertigung von Möbel.
Das entsprechende Gesetz ist die Europäische Ökodesignverordnung ESPR (Ecodesign for Sustainable Products Regulation), welche im letzten Entwurf am 9. Januar veröffentlicht wurde und nun zur Abstimmung im Europäischen Parlament, in der Kommission und im Rat steht. Eine endgültige Veröffentlichung wird für März, spätestens April erwartet. In der ESPR ist explizit erwähnt, dass „für den ersten Arbeitsplan die Kommission […] Möbel, einschließlich Matratzen […] als vorrangig einstufen sollte“.
Die notwendigen Informationen für die Wieder- bzw. Weiterverwendung, die Demontage oder auch stofflichen Verwertung ist nur realisierbar, indem jedem Möbel ein Produktpass beigefügt wird – selbstverständlich ein digitaler Produktpass (DPP). Die Vielzahl an unterschiedlichen Informationen sind nur so zu verarbeiten. Daher beschäftigen sich meine Kollegin Anika Degenhard und ich als Vertreter des Daten Competence Center e. V. (DCC) uns mit diesem Thema.
Hierbei sind die Produzenten auf die Mithilfe ihrer Zulieferindustrie angewiesen. Letztendlich müssen für jedes Zukaufteil und für alle Fertigungsmaterialien entsprechende Pässe erstellt und beigefügt werden. Hieraus wird kaskadenartig der DPP für das fertige Möbel erzeugt. Derzeit sprechen wir mit allen relevanten Lieferantengruppen.
Dies klingt komplex – ist es auch, denn es werden Datenökosysteme bzw. Datencontainer benötigt. Der offizielle Fachbegriff ist Verwaltungsschale (Asset Administration Shell / AAS). Wir kennen bereits vielfältige Konzepte für Verwaltungsschalen und digitale Produktpässe, die genauen Ausführungsbestimmungen der EU lassen aber noch auf sich warten.
Ein Paradigma bei vielen Gesetzesvorhaben der EU ist der Verbraucherschutz, was wir grundsätzlich begrüßen. Für den DPP gilt daher, dass er vor der Kaufentscheidung zur Verfügung stehen muss. Bei Lagerware ist dies unkritisch, bei einem variantenreichen, kommissionsgefertigten Produkt wie Möbel ist es eine Herausforderung – ebenso wie die zwingend vorgeschriebene eindeutige Identifizierung. Die Planungsprogramme und Konfiguratoren des Handels haben hier noch eine gewaltige Aufgabe vor sich – und wir in unseren DCC-Gremien ebenfalls.
Ganz neu aufgenommen in den letzten Entwurf der ESPR ist ein Webportal für die Vergleichbarkeit von Produkten. Glücklicherweise liegt dies nicht in der Verantwortung der Produzenten.
Zum zeitlichen Ablauf gibt es noch große Unsicherheiten. Fest steht, dass spätestens neun Monate nach dem Inkrafttreten der ESPR die Veröffentlichung des Delegierten Rechtsakt (Delegated Act), also bis Ende des Jahres, eintreten muss. Dann folgen dessen Inkrafttreten und seine Gültigkeit, die wir auf Ende 2027 schätzen. Bis dahin müssen alle Möbelhersteller in der Lage sein, ihren Produkten einen digitalen Produktpass beizufügen.
Wie geht es jetzt weiter? Meine Kollegen Jan Kurth und Heiner Strack vom Verband der Deutschen Möbelindustrie e. V. (VDM) vertreten unsere Mitglieder bei dem Thema Circular Economy auch auf europäischer Ebene und bringen sich u. a. in den Gremien der EFIC (European Furniture Industries Confederation) ein. Der Digitale Produktpass wird auch in dem europäischen Normungsgremium der CEN/CENELEC behandelt. In dem deutschen Spiegelausschuss von DIN/DKE vertrete ich den VDM bzw. das DCC.
Um die gesamte Lieferkette sowie weitere Akteure einzubinden, planen wir ein Konsortium zu gründen. Dieses soll Vorarbeit leisten, um für die Möbelbranche die Rahmenbedingungen festzulegen. Gleichzeitig soll es die Gesetzesentwürfe, Ausführungsbestimmungen, Normen und Konzepte sichten. Wir, die Verbände der Möbelindustrie, informieren hieraus regelmäßig unsere Mitglieder über den aktuellen Stand.
Autor:
Dr. Olaf Plümer
Daten Competence Center e.V.
pluemer@vhk-herford.de
Quelle und Medienpartner
Veröffentlicht in: möbelfertigung 02/2024