Digitalisierungsbremse Bürokratie: Harte Prüfung für den Mittelstand
„Der Mittelstand ist das Rückgrat der bundesrepublikanischen Wirtschaft“. Mit diesen Worten würdigte die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel 2015 die Bedeutung des Mittelstands als tragende Säule der deutschen Ökonomie. Noch im selben Jahr wurde hierzulande die “Bürokratiebremse” eingeführt, um den behördlichen Aufwand für Unternehmen drastisch zu reduzieren. Unter dem Motto “one in, one out” sollte der Mittelstand nicht länger durch zeitraubende rechtliche Prozesse behindert werden. Doch dieses Vorhaben ist gescheitert. Im September 2022 ergab eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach, dass der Mehraufwand für hiesige Unternehmer:innen seit der Gesetzgebung um 65 Prozent gestiegen ist. Auch für die Mitglieder unseres Mittelstandsnetzwerks rangiert das Thema der administrativen Vorgänge ganz oben auf der Sorgenliste. Die Bürokratie stellt Klein- und Mittelgewerbe vor Hürden, die es auszuräumen gilt, damit die Digitalisierung voranschreitet.
Die Mehrheit der Betriebe fühlt sich abgehängt
Beinah 30 Prozent der befragten Mitglieder im Rahmen des Digitalbarometers sehen Bürokratie als Digitalisierungshürde. Quelle: Elisa Ventur auf Unsplash
Im Rahmen des Digitalbarometers befragten wir bei SELLWERK im November und Dezember 2023 unsere Mitglieder zum Stand der Digitalisierung in ihren Unternehmen. Dabei kam heraus, dass die Verwaltung insbesondere für kleinere Betriebe eine Herausforderung darstellt. 88 Prozent der Einzelunternehmer:innen fühlen sich bei Digitalthemen komplett abgehängt. Bei Betrieben ab zwei Personen sieht mehr als die Hälfte noch digitalen Nachholbedarf bei sich selbst. Als Gründe nannten die Teilnehmenden neben Zeitmangel vor allem die hiesige Administration und die rechtlichen Rahmenbedingungen. Beinah ein Drittel der Befragten gab zudem an, dass bürokratische Vorgänge sie bei der Umsetzung digitaler Strategien behindern. Dabei könnten digitale Lösungen das Arbeitsleben vieler Unternehmer:innen vereinfachen. Eine Bündelung der Onlineangebote an einem Ort erleichtert etwa die Kommunikation mit Partnern und Kund:innen, besonders für Geschäfte des Mittelstands. Derzeit ist ein Handwerksbetrieb im deutschen Mittelstand jedoch nahezu denselben bürokratischen Anforderungen ausgesetzt wie ein Großunternehmen. Der verwaltungstechnische Aufwand steht daher in keinem Verhältnis zu den Kapazitäten und der Betriebsgröße. Es liegt auf der Hand, dass diese Mammutaufgabe für KMU nicht zu bewältigen ist, zumal in vielen Betrieben Zeit, Personal und Expertenwissen fehlen.
Auch die Online-Korrespondenz mit Behörden, welche die Verwaltungsvorgänge erleichtern würden, gehört zu einer Belastung für Geschäftsbetriebe. Doch der Austausch mit Behörden findet noch immer überwiegend in Papierform statt. Vor allem die sich in den letzten Jahren stetig ändernde Gesetzgebung bringt viele Wirtschaftsunternehmen an ihre Grenzen. Dazu gehörten beispielsweise das Gebäudeenergiegesetz und die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns.
Bürokratie und Vorschriften hindern die Digitalisierung
Betrachtet man die bisherigen politischen Maßnahmen zur Verbesserung des Bürokratieaufwands für deutsche Unternehmen, sind die Ergebnisse unseres Digitalbarometers wenig überraschend. Das 2017 verabschiedete Onlinezugangsgesetz wollte einen Wendepunkt in der Digitalisierung darstellen und bis Ende 2022 Verwaltungsleistungen online zur Verfügung stellen. Das angestrebte Ziel wurde nicht nur deutlich verfehlt, sondern erweist sich als Panne für die zuständigen Behörden und Gesetzgeber:innen. Auf Bundesebene waren ganze 70 Prozent der behördlichen Dienste nicht digital nutzbar, während es bei den Ländern und Kommunen mit erschreckenden 80 Prozent noch schlechter aussah. Die enormen administrativen Hürden schlagen sich auch in den vom Nationalen Normenkontrollrat (NKR) erhobenen Bürokratiekosten nieder. Zuletzt stellt der NKR einen Anstieg von rund 164 Millionen Euro pro Jahr fest.
Dies alles führt dazu, dass Deutschland beim digitalen Wandel im internationalen Vergleich weit hinten liegt. Das ständige Scheitern von Gesetzesvorhaben und die steigenden Mehrkosten für Betriebe hierzulande sind ein lautes Warnsignal für die Zukunft und das Überleben des Mittelstands in unserem Land.
Der digitalisierte Mittelstand kann nur entstehen, wenn Verwaltungsabläufe für Unternehmen deutlich vereinfacht werden. Quelle: John Schnobrich auf Unsplash
Digitale Zukunft dank Freiheit für Innovation
Damit die Digitalisierung der deutschen Wirtschaft also kein Lippenbekenntnis bleibt, sollte das neue Jahr ganz im Zeichen der Realisierung stehen. Ein erster Schritt in die richtige Richtung wurde im September mit dem Gesetzentwurf zur Änderung des Online-Zugangsgesetzes gemacht. Zusammen mit dem Once-Only-Prinzip können wichtige Grundlagen für die Zukunft geschaffen werden. Das Prinzip zielt darauf ab, einmal erhobene Daten effizient weiterzugeben, anstatt sie immer wieder neu zu erfassen. Die Übermittlung und Erstellung von Bescheiden und Formularen ist eine der größten Baustellen auf dem Weg zur Digitalisierung. Um diesen Prozess voranzutreiben, kann verstärkt auf digitale Lösungen gesetzt und die Verwendung von Papierdokumenten weiter reduziert werden. Auch die stärkere Berücksichtigung europäischer Vorhaben wie dem KMU-Entlastungspaket sowie die konsequente Umsetzung der Registermodernisierung durch Bund, Länder und Kommunen sind notwendige Initiativen, um den Verwaltungsprozess endlich zu verschlanken.
Die Politik ist sich der Herausforderungen bewusst, welche die Bürokratie für die Wirtschaft mit sich bringt. Die von der Koalition vereinbarten Maßnahmen müssen jedoch im kommenden Jahr mit Hochdruck umgesetzt werden, um Unternehmen tatsächlich zu entlasten. Denn solange der Abbau bürokratischer Hürden nicht voranschreitet, ist die digitale Zukunft des Mittelstands blockiert.
Bis dahin profitieren KMUs davon, sich in Netzwerken zusammenzuschließen. Durch einen starken Verbund und die Expertise in unterschiedlichen Bereichen können Mittelstandsunternehmen das Thema Digitalisierung gemeinsam angehen und selbst in die Hand nehmen — ganz getreu dem Motto #mittelstandverbindet.
Kontakte SELLWERK
Frank Schieback
CMO – Marketing/Produkt
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Angela Steinhart
Leiterin Markenkommunikation
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