Eine Schwalbe macht noch keinen stationären Einzelhandelsfrühling!
Warum darf uns die Übernahme des Schweizer Juweliers Bucherer durch Rolex nicht von den eigentlichen Problemen der deutschen Innenstädte ablenken? Ein Beitrag vom wissenschaftlichen Berater von Moebel Digit@l: Prof. Dr. Nektarios Bakakis, Hochschule Worms (Handels- und Vertriebsmanagement)
Die Übernahme des Schweizer Juweliers Bucherer AG durch Rolex ist ein beachtliches Ereignis im Luxussegment. Es zeigt ein Bekenntnis von Rolex zum stationären Handel, was durchaus beachtenswert ist in einer Zeit, in der viele Marken ihre Online-Präsenz ausbauen.¹
Jedoch, auch wenn solch eine Übernahme für Schlagzeilen sorgt, ist es nicht repräsentativ für den gesamten Einzelhandel, und es ist sehr unwahrscheinlich, dass solche Übernahmen im Luxussegment allein ausreichen werden, um den generellen Verfall des Einzelhandels und der immer weiter abnehmenden Attraktivität in den Innenstädten, insbesondere in kleineren Städten bis 100.000 Einwohner, umzukehren.
Es gibt mehrere Gründe dafür:
1.
Reichweite des Luxussegments
Das Luxussegment, insbesondere Marken wie Rolex, ist ein Nischenmarkt, der sich an eine bestimmte Käufergruppe richtet. Während es eine beträchtliche Anzahl wohlhabender Konsumenten gibt, die solche Produkte kaufen, ist es unwahrscheinlich, dass die durchschnittliche Bevölkerung einer Stadt mit 100.000 Einwohnern regelmäßig in Luxusgeschäften einkaufen wird.
2.
Ein isoliertes Phänomen
Auch wenn Rolex eine Übernahme tätigt, bedeutet dies nicht, dass alle Luxusmarken diesem Beispiel folgen werden. Und selbst wenn sie es täten, könnten sie sich auf größere Städte oder Touristenmagneten konzentrieren. Die tatsächliche Anzahl von kleineren Städten, die von einer solchen Übernahme profitieren würden, könnte sehr begrenzt sein. Luxusmarken könnten sich auf sehr spezifische geografische Gebiete konzentrieren, die bereits ein gewisses Maß an Wohlstand oder touristischem Interesse haben.
3.
Die tiefer liegenden Probleme
Viele Innenstädte, insbesondere in kleineren Städten, leiden unter einer Vielzahl von Problemen, wie z.B. einem hohen Leerstand, einem Mangel an Sortimentsvielfalt im Einzelhandelsangebot, eine schlechte Verkehrsinfrastruktur, die Konkurrenz durch Online-Händler und den oft fehlenden Anreizen, die das Stadtzentrum zu einem attraktiven Ort für Besucher und Käufer machen. Die Eröffnung oder Übernahme eines Luxusgeschäfts durch eine Luxusmarke allein wird diese umfassenden Probleme nicht lösen können.
4.
Der begrenzte “Halo”-Effekt
Während die Präsenz einer Luxusmarke in einer Innenstadt sicherlich einigen Fußverkehr anziehen kann, muss es einen Multiplikatoreffekt geben, um einen signifikanten Unterschied zu machen. Mit anderen Worten, ein Rolex-Geschäft allein wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht genug Attraktivität ausstrahlen können, es sei denn, es gibt andere ergänzende High-End-Geschäfte und Dienstleistungen in unmittelbarer Nähe, die das Einkaufserlebnis ergänzen.
5.
Die Rolle des E‑Commerce
Während der stationäre Handel in der immer noch sehr traditionell geprägten Luxusindustrie nach wie vor eine zentrale Rolle spielt, gewinnt die digitale Präsenz von Luxusmarken immer weiter an Bedeutung. Phygitale Erlebnisse sind in diesem Kontext von großer Bedeutung, da sie den Kunden ermöglichen, nahtlos zwischen beiden Welten zu agieren.² Ein gerade abgeschlossene Master-Thesis mit dem Thema „Phygital Customer Experiences im Luxuseinzelhandel“ am Beispiel von Luxusuhren, hat auf der einen Seite die immer noch stark ausgeprägten traditionellen Vertriebsstrukturen und auf der anderen Seite den Einstieg in die digitale sogar virtuelle Welt aufgezeigt. Selbst wenn eine Luxusmarke physische Geschäfte in kleineren Städten eröffnet, könnten zukünftige Käufergruppen den Online-Kanal für ihre Einkäufe bevorzugen. Online-Plattformen für Luxustextilien wie z.B. Farfetch gehören heute schon zu den Größten weltweit und werden sowohl von Millennials als auch der GenZ mit knapp 60% am häufigsten genutzt.³
Zusammengefasst, obwohl die Übernahme oder Eröffnung physischer Standorte durch Luxusmarken wie Rolex sicherlich positive Auswirkungen auf die jeweilige Umgebung haben kann und eine gewisse Aufwertung mit sich bringt, bleibt es extrem unwahrscheinlich, dass dies allein ausreicht, um die breiteren Einzelhandelsprobleme zu lösen, mit denen viele Innenstädte in kleineren deutschen Städten konfrontiert sind. Es bedarf eines umfassenderen, multi-dimensionalen Ansatzes, um diese Probleme wirksam anzugehen. Die hier diskutierte Übernahme von Rolex sollte als ein spezifisches Geschäftsereignis und nicht als allgemeiner Trend oder Lösung für die Einzelhandelsbranche betrachtet werden.
Daher freuen wir uns an der Hochschule Worms im kommenden Wintersemester 2023/24 in Zusammenarbeit mit der Stadt Worms und unseren Studierenden des Studiengangs Handels- und Vertriebsmanagement diese Themen praxisbezogen angehen zu können. Geredet und geschrieben wird von Politik und Handelsexperten viel, sichtbar erfolgreiche Konzepte wurden bis heute für Innenstädte mit bis zu 100.000 Einwohner noch nicht aufgezeigt – vielleicht schaffen wir es in Worms.
Quellen:
• ¹ GZ-Online (2023): Breaking News: Rolex kauft Bucherer, in https://www.gz-online.de/uhren-detail/BreakingNewsRolexKauftBucherer [10.09.2023]
• ² Bavrilic, Selina (2023): Phygital Customer Experiences im Luxuseinzelhandel, Master-Thesis Sommersemester 2023, S. 90
• ³Scheurer, Marcella (2023): Der Einfluss von Drittanbietern im Einzelhandel auf die Markenidentität der Luxustextilbranche, Bachelor-Thesis Sommersemester 2023. S. 33¹
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